Freundeskreis Asyl Hofheim e.V.

Berichte, Meinungen, Denkanstöße

Mitdenken, Weiterdenken ...
Hier finden Sie Betrachtungen und Kommentare zum aktuellen Geschehen rund um unsere Erfahrungen mit der täglichen Asylarbeit.


Hofheim, Juli 2018
Offener Brief an Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens
zum Thema: Abschiebung verhindern!

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

der Vorstand des Freundeskreis Asyl in Hofheim e.V. möchte mit dieser Mail auf eine Situation aufmerksam machen, die uns Sorge bereitet.

 

Die Bundesregierung schiebt wieder nach Afghanistan ab, obwohl es ausreichend Berichte gibt, dass sich die Situation dort zunehmend verschlechtert. Die Argumentation ist, dass junge, alleinstehende und arbeitsfähige Männer in der Lage sind, sich dort mit Gegelenheitsjobs ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

 

Junge, zwei Jahre lang in den Berufsschulen gut vorbereitete und ausgebildete Menschen, die erfolgreich Praktika absolviert haben, die arbeits- und ausbildungswillig sind und denen Ausbildungsplätze in Handwerksbetrieben (als Fliesenleger, Bäcker, Metzger, Altenpfleger, im Einzelhandel etc.) angeboten werden, die händeringend nach Auszubildenden suchen, bekommen die Erlaubnis zur Ausbildung von den Ausländerbehörden verwehrt mit dem Hinweis, es gäbe genug junge Flüchtlinge, die bereits Aufenthaltsstatus hätten und um die die Betriebe sich bemühen sollten.

 

Der Freundeskreis Asyl Hofheim e.V. begleitet seit nunmehr vier Jahren Flüchtlinge, darunter auch junge afghanische Männer. Nun ist der Fall eingetreten, dass die Klage eines dieser Männer gegen die Ablehnung seines Asylantrages vom Gericht abgelehnt worden ist. Er gilt als jung, arbeitsfähig und alleinstehend und soll deshalb trotz intensivster Integrationsbemühungen und -erfolge seinerseits (Qualifizierender Mittelschulabschluss nach nur 2 Jahren, Ausbildungsstelle im Handel in Aussicht, Führerschein, aktives Mitglied im Sportverein) und Unentbehrlichkeit bei der Versorgung der Familie - wie Koordination der vielen notwendigen Arzttermine, Organisation aller notwendigen Haushaltsabläufe oder auch Behördenkontakte - nach Afghanistan zurück. Da er unverheiratet ist, gilt er als alleinstehend, obwohl die Mitglieder seiner Herkunftsfamilie, die im Gegensatz zu ihm hier in Deutschland bleiben dürfen, schwer krank und tagtäglich auf seine Hilfe angewiesen sind.

 

Auf Empfehlung des Gerichtes, das die Klage gegen den abgelehnten Asylantrag negativ entschieden, aber die Gesamtsituation der Familie im Blick hatte, wurde ein Antrag auf das sogenannte inländische Abschiebeverbot bei der Ausländerbehörde gestellt. Trotzdem hat die Ausländerbehörden den Antrag auf Ausbildung mit dem Argument der fehlenden Bleibeperspektive abgelehnt.

 

Der junge Mann bemüht sich mit Hilfe von Ehrenamtlichen aus dem Freundeskreis Asyl schon seit Längerem, seine Identität zu klären. Die Erläuterung, welche Schritte dafür unternommen wurden und noch weiter unternommen werden müssen, würde hier mehrere Seiten in Anspruch nehmen, das Ganze ist eine höchst komplizierte und kostenintensive Angelegenheit. Dennoch wird ihm im Ablehnungsbescheid ohne detailliertere Nachfrage von der Ausländerbehörde unterstellt, er wirke nicht an seiner Identitätsfeststellung mit.

 

Sollte er tatsächlich die Ausbildung nicht machen dürfen und zurück nach Afghanistan geschickt werden, wäre die Versorgung der psychisch und körperlich schwer kranken Familie eine Aufgabe, die dann der öffentlichen Hand obliegen würde. Durch uns Ehrenamtliche wäre das, was der junge Mann für seine Familie leistet, nicht erbringbar.

 

Würde er nicht abgeschoben werden, könnte aber wegen der verstrichenen Frist der Ausbildungsstelle und des abgelehnten Antrags auf Genehmigung der Ausbildung diese nicht antreten, wäre er weiter auf Sozialhilfe angewiesen und könnte nicht zur finanziellen Absicherung seiner Familie beitragen.

 

Für uns als Freundeskreis Asyl, der sich seit Jahren um die Integration von Flüchtlingen bemüht, unzählige Stunden ehrenamtlicher Arbeit aufwendet, Hausaufgabenhilfe, Unterstützung bei der Organisation der gesundheitlichen Versorgung, Hilfe bei Kontakten zu Behörden etc. leistet, mit Ausbildungsbetrieben, Betriebsleitern, Jobcentern, Sozialämtern spricht, versucht Lösungen zu finden und so weiter, ist das Vorgehen der Politik und der Zentralen Ausländerbehörden, die für den Landkreis Haßberge zuständig sind, nicht nachvollziehbar.

 

In anderen Bundesländern wird die sogenannte 3 plus 2 Regelung angewendet. Auch junge Menschen, deren Asylverfahren noch läuft, können eine Ausbildung beginnen und die Betriebe haben die Sicherheit, dass diese jungen Menschen im Anschluss noch mindestens weitere 2 Jahre bleiben können. Das war vom Gesetzgeber so gedacht.

 

Unsere Arbeit als Ehrenamtliche, die vor zwei Jahren noch von politischer Seite gelobt und mit Auszeichnungen gewürdigt wurde, wird inzwischen nicht nur nicht unterstützt, sondern öffentlich von politischen Entscheidungsträgern diffamiert und durch Entscheidungen wie im oben geschilderten Fall zunichte gemacht.

 

Unsere Gesellschaft benötigt ausländische Arbeitskräfte. Dass CDU-Minister Spahn nun Pflegekräfte aus Albanien anwerben möchte, ist offenbar ein Versuch, dem Pflegenotstand etwas entgegen zu setzen. Wir fragen uns aber, warum wir nicht nutzen, dass es bereits gut ausgebildete junge Menschen aus Afghanistan, Eritrea etc. gibt, die bereits Deutsch können, sich in den Haßbergen, in Nassach, Hofheim, Lendershausen wohl fühlen, dort Freunde und Bekannte gefunden haben, und ihnen die Chance geben, sich in unserer Gesellschaft zu bewähren.

 

Wir bitten dringend um ein Umdenken und um ressourcenorientierte politische und behördliche Entscheidungen.

 

 

Der Vorstand

Freundeskreis Asyl Hofheim e.V.

Am Eisweiher 74

97461 Hofheim  i. Ufr.



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Bericht von der Mitgliederversammlung & Vorstandswahl 2018
von Regine Leisner

Am 2. März 2018 fand in bester Arbeitsatmosphäre die Jahreshauptversammlung unseres Vereins Freundeskreis Asyl Hofheim e.V. statt. Vorsitzende Chris Bendig hatte eine inspirierende Power-Point-Rückschau vorbereitet, anhand deren die Mitglieder einmal mehr erstaunt und erfreut auf die enorme Menge an Aktivitäten und Veranstaltungen des vergangenen Jahres zurückblicken konnten. Die Einrichtung und tägliche Nutzung der allseits beliebten Begegnungsstätte Café Diwan schuf dafür den geeigneten Rahmen, so dass der Dank an Bürgermeister Borst für die Bereitstellung der Räumlichkeiten durch die Stadt Hofheim wirklich von Herzen kam. Über die aktuellen und künftigen Angebote des Teams der Deutschunterrichtenden berichtete Regine Leisner. Der anschließende Kassenbericht der Schatzmeisterin Katharina Schmidt sowie der beiden Kassenprüferinnen Barbara Vonhausen und Rita Zimmermann-Will führte zur alsbaldigen Entlastung des Vorstands, und so konnte unter der fachkundigen Wahlleitung von Gerhard Schmidt zur Neuwahl geschritten werden, die ja turnusmäßig alle zwei Jahre erfolgen muss. Auch war das Amt der Schriftführerin neu zu besetzen, da Regine Leisner ihren Vorstandssitz geräumt hatte, um sich wieder verstärkt ihrem "Kerngeschäft", dem Deutschunterricht, widmen zu können.
Die Wahl nahm wenig Zeit in Anspruch und erfolgte in allen Fällen einstimmig, abgesehen von den jeweiligen Enthaltungen der Kandidatinnen. Der neue Vorstand für die nächsten zwei Jahre setzt sich zusammen aus Chris Bendig (1. Vorsitzende), Dr. Heinrich Goschenhofer (2. Vorsitzender), Anna Zuber (Schatzmeisterin) und Katharina Schmidt (Schriftführerin). Im Namen der Mitglieder sprach Barbara Vonhausen in der ihr eigenen, warmherzigen Weise dem bisherigen Vorstand Dank und Anerkennung aus. Auch dem neuen Team wünschen nun alle ein befriedigendes und erfolgreiches Wirken!

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Worte zum Jahresanfang 2018
von der 1. Vorsitzenden Chris Bendig

 
Liebe Vereinsmitglieder, liebe Unterstützer und Interessierte,

im Frühsommer des Jahres 1709 erlebte England eine Ankunft geflüchteter Menschen in ungewohnt hoher Anzahl und war gänzlich unvorbereitet. In etwa der Größenordnung der Bevölkerung einer damaligen englischen Provinz mussten  Familien, ledige Männer und Frauen, alleinreisende Kinder, Witwen, Greise sofort versorgt und auch über ihre spätere Zukunft nachgedacht werden. Was sich dann ereignete, was das Königreich dann beschäftigte und welche Gedanken sich die Zuständigen machten, beschreibt der englische Schriftsteller Daniel Defoe (uns hauptsächlich als Autor des Romans "Robinson Crusoe" bekannt) in seiner "Kurzen Geschichte der pfälzischen Flüchtlinge" von 1709 in geradezu gespenstischer Aktualität, als seien im Grunde fast alle Überlegungen, Maßnahmen und Schwierigkeiten, mit denen wir uns in den letzten Jahren auseinandergesetzt haben, bereits vor 300 Jahren erlebt, bedacht, erörtert worden.
So nimmt Defoe Bezug auf Zuwanderungserfolge anderer Länder (z.B. Holland, wo Ende des 17. Jahrhunderts französische Flüchtlinge aufgenommen wurden – auch damals erst nach eingehender Prüfung, ob es sich wirklich um Flüchtlinge handelte), berichtet genauestens über Anzahl, Ausbildungsstand, Berufe der Geflüchteten sowie ihre denkbare Beschäftigung in englischen Wirtschaftszweigen. Er berichtet von den intensiven und eilig begonnenen Bemühungen, den Geflüchteten zu helfen, sie relativ bald nicht alle an einem Ort, sondern dezentral in angemieteten Häusern, Scheunen und Zelten unterzubringen. Königin Anne und ihre Minister setzten Sonderbeauftragte ein, die sich darum kümmern sollten, dass die bereitgestellten und "mildtätig gespendeten" Gelder sinnvoll und gerecht verteilt würden.



Sogar ein "Wohltätigkeitsverein" wurde eigens gegründet, sich um das körperliche, aber auch geistige Wohl der Pfälzer zu kümmern. Gottesdienste auf Deutsch  und für 500 der Kinder Schulunterricht zum Erlernen der englischen Sprache wurden organisiert, Ärzte kümmerten sich unentgeltlich um die Kranken.
Doch ebenso gab es natürlich erheblichen Unmut: die zusätzlichen Menschen belasteten die Staatskasse, würden Löhne drücken und es käme zu Preisverfall der gängigsten Waren. Auftretende Konflikte aller Art wurden den Pfälzern angelastet, und es kam zu tätlichen Übergriffen. Diskussionen quer durch Staat und Bevölkerung, ob die Zustände im Heimatland (Krieg, Hungersnot, religiöse Verfolgung) eine Flucht überhaupt ausreichend begründeten. Defoe argumentiert dagegen nicht nur mit Nächstenliebe und moralischer Verpflichtung, sondern ganz modern mit dem Nutzen für Staat (Zuwachs an Arbeitskräften, Möglichkeit zu Agrar- und Industriewachstum in bevölkerungsarmen Regionen, zukunftsweisendes Gestalten der Bevölkerungspolitik). Beschäftigung sei das Wesentliche, um dem "Müßiggang" vorzubeugen und das Heer der Armen in England nicht noch weiter zu vergrößern. So könnten beispielsweise in Gemeinschaftsarbeit bei sinnvollem Lohn Häuser erstellt werden, anstatt einfach Geld zu verteilen. Handwerker könnten mit lediglich kleinem Startkapital ihre Tätigkeiten aufnehmen. Gewisse Industriezweige wären zudem besonders geeignet, ungelernte Arbeitskräfte zu beschäftigten.
 
Bei der Lektüre von Defoes bereits vor Jahrhunderten verfassten Erörterungen wird sehr deutlich, dass sich Geschichte immer wiederholt und Flucht, Vertreibung, Heimatverlust und Neuankommen sehr alte Menschheitsereignisse sind. Ebenso wie die Skepsis, die Ängste und Vorbehalte der jeweils aufnehmenden Gesellschaft nach wie vor ähnliche Ausrichtung und Inhalte zeigen.
 
Nimmt man also Defoes Darlegungen von 1709 als Maßstab und ergänzt sie mit unseren eigenen Erlebnissen und Erfahrungen der letzten Jahre, befinden wir uns mit der Arbeit unseres heutigen "Wohltätigkeitsvereins", des Freundeskreises Asyl in Hofheim, auf dem richtigen Weg. Die Notwendigkeiten und auch die Beziehungen der Menschen zueinander und zu ihrer neuen Umwelt werden komplexer und unser Zusammenleben soll immer weniger von direkter und anleitender Hilfe, sondern immer mehr von Unterstützung zur tätigen und mündigen Eigeninitiative,  sowie von wertschätzender, offener und respektvoller Toleranz geprägt sein, die wir einander entgegenbringen und auch für uns selber erwarten können.
Ein wichtiger Schritt hierfür war im vergangenen Jahr vor allem die immer intensivere Nutzung unseres wunderbaren Café Diwan im ehemaligen VHS-Gebäude in Hofheim. Neben dem selbstverständlich mit großer Konstanz abgehaltenen Deutschunterricht finden hier Veranstaltungen ganz unterschiedlicher Art statt, wie z.B. lockere Treffen für Erwachsene und Kinder, Infoveranstaltungen verschiedensten Inhalts, Ferienprogramm für die Schulkinder, Hausaufgabenhilfe, Familienfrühstück, Filmabende, Sitzungen und Feiern. Es wurde ein Tauschring gegründet, der die Möglichkeit zur gegenseitigen und gleichberechtigten Hilfe verbessern soll und der – ebenso wie alle öffentlichen Veranstaltungen und Programme des Vereins – grundsätzlich allen Mitbürgern offen steht.
Mein herzlicher Dank geht an dieser Stelle an alle Beteiligten, alle Aktiven, Unterstützer des Vereins und besonders an die Stadt Hofheim und Herrn Bürgermeister Borst, die uns den Betrieb des Café Diwan so selbstverständlich und ohne Umstände ermöglichen. 
 
Natürlich müssen wir uns auch immer wieder und in unterschiedlichen Zusammhängen mit den Problemen und Schwierigkeiten der Menschen auseinandersetzen, die flüchten mussten, vertrieben wurden und sich nach Kräften bemühen, trotz schrecklichster und traumatisierender Ereignisse in der Vergangenheit nun für sich und ihre Familien in einem völlig anderen Kulturkreis ein menschenwürdiges und zukunftsträchtiges Leben zu erlangen - mit so viel  der eigenen Normalität wie nur möglich.
Auch hier trifft eine Ansicht Defoes aus dem England vor 300 Jahren nach wie vor zu: "Das Letzte, was Menschen täten, wäre, ihre geliebte Heimatscholle zu verlassen; und (…) dieses werden vermutlich nicht viele Familien leichtfertig tun."
 
Wir sind im neuen Miteinander immer wieder gefordert, uns einzufühlen, unsere eigenen Vorstellungen und Gewohnheiten abzugleichen, zu verfestigen oder zu erweitern. Der Kontakt zu geflüchteten Menschen bringt die meisten von uns dazu, die eigenen Horizonte zu verschieben, Neues zu erfahren und die eigenen Standpunkte zu überprüfen – um dann hoffentlich durch die Begegnung gestärkt und bereichert zu sein. In der kommenden Zeit wird uns alle immer genauer die Frage beschäftigen, was das zukünftige Zusammenleben mit Menschen mit Fluchtgeschichte für uns persönlich und auch als Gemeinwesen mit sich bringt, denn Integration bedeutet keineswegs einfach das gesichts- und konturlose Einsickern der Ankömmlinge in eine Mehrheitsgesellschaft. Die echten Qualitäten einer starken und selbstsicheren Gesellschaft erstrecken sich doch weit über die Möglichkeit einer reinen wirtschaftlichen Versorgung von Bedürftigen hinaus auf den interessierten, respektvollen und durchaus auch lernwilligen Umgang mit dem jeweiligen Gegenüber, wobei die eigene Identität und der eigene Wertekanon selbstverständlich nie in Frage steht.
 
Bei uns in Hofheim kann man wie überall feststellen, dass es natürlich noch ein weiter und anstrengender Weg ist vom Alltag mit den Mühen der oft schwierigen Wohnungs- und Arbeitssuche, den Schul- und Familienproblemen bis hin zu etwas, das man als „Integration“ bezeichnen könnte.
Doch auf diesem Weg kann ja nichts wichtiger sein, als sich offen und menschlich gegenüberzustehen, einander zuzuhören, gelegentlich auch mal vorübergehend die Geduld miteinander zu verlieren, gemeinsam Zeit zu verleben, zu essen, zu feiern, zu reden und einfach miteinander Mensch zu sein.
 
All dies weiterhin zu tun ist der wesentliche Plan für das neue Jahr.
 
Ich möchte mich ausdrücklich und herzlich bei allen bedanken, die den Freundeskreis Asyl und seine Arbeit aktiv, ideell oder finanziell unterstützen und wünsche ein sehr gutes, glückliches und erfülltes neues Jahr!
 
Christina Bendig

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Ein Bericht von Prof. Eike Uhlich:

September 2017
Am 14./15. September fand im Pressezentrum der Bundesregierung in Berlin der 3. Zukunftskongress Migration und Integration statt. Eingeladen war auch Hofheims Bürgermeister Wolfgang Borst als Leiter der Gemeinde-Allianz Hofheimer Land. Stellvertretend für ihn hat Prof. Eike Uhlich an den hochkarätig besetzten Gesprächen teilgenommen und dabei unter anderem auch die Aktivitäten des Freundeskreises Asyl Hofheim e.V. geschildert. Hier sein Kurzbericht: 
 
Rückblick:
Das „Jahr 4 nach Lampedusa“ ist dadurch gekennzeichnet, dass die Flüchtlingsfrage unterdessen in allen Bereichen unseres Lebens angekommen ist. Besonders eindrucksvoll habe ich dies auf mehreren Kongressen Anfang des Jahres erlebt. Hier haben etwa Juristen, Architekten, Theologen und Philosophen, Pädagogen und Soziologen u.a.m. die neue Situation kompetent analysiert und Handlungsvorschläge formuliert. Neben den sehr pragmatischen wichtigen Aktivitäten der ersten Jahre existiert jetzt also auch eine wissenschaftlich fundierte Basis unserer Arbeit.
 
Weitere Schritte:
Der aktuelle Kongress in Berlin fügt dem nun eine neue Komponente hinzu. Man kann es etwas vereinfacht so sagen: Die Anwendung der Befragung, Testung und Beurteilung deutscher Arbeitssuchender soll nun für Migranten angepasst und angewandt werden, um diese möglichst passend in ein Beschäftigungsverhältnis zu bringen. Dies ist natürlich eine wichtige (und von uns seit einem Jahr grundsätzlich angewandte) Methode. Eine kaum überschaubare Anzahl von Firmen, Gruppen, Verbänden etc. bot dies an, warb für ihre „Programme“ und hinterließ bei mir ein gewisses Unbehagen (a) weil allzu deutlich erkennbar mit dem Flüchtling Geld verdient werden sollte und (b) weil die unverzichtbare weitere Betreuung auch nach Arbeitsbeginn bei keinem mitbedacht war.
 
Der Kongress selbst
war hervorragend organisiert, fand in dem perfekt ausgestattetem und riesigen Bundespresseamt statt und war besucht von etwa 3-400 Teilnehmern aus allen Bereichen der Flüchtlingsarbeit. In Haupt- und mehreren Parallelsitzungen wurden hauptsächlich Themen zur Integration in das Berufsleben bearbeitet, in etwas geringerer Anzahl ging es bei den Präsentationen um die Beschaffung von Wohnungen. Methodisch wurde das modische „best practice“ angewandt, bei dem Modell-Projekte von den jeweiligen Verantwortlichen vorgestellt und diskutiert wurden.
Ich habe (in Vertretung von Bgm. Wolfgang Borst) in der sog. „Zukunftswerkstatt ländlicher Raum“ vor einem erstaunlich großen und aufmerksamen Publikum und neben einem Landrat und einer Asylkoordinatorin aus einem nicht ganz so ländlichen Raum wie dem unseren berichtet, was wir gearbeitet und erreicht haben und wo der Weg gelegentlich etwas holperig war.
Die Diskussion und die außergewöhnlich positiven Rückmeldungen („selten so eine lebhafte Diskussion gehabt“, Einladung zu anderen Tagungen und zum Folgekongress im kommenden Jahr) bestätigen mir, dass unsere Arbeit zwar noch nicht absolut perfekt aber im Vergleich zu anderen durchaus anerkennenswert ist, dass wir die richtige Richtung eingeschlagen haben und schließlich, dass wir unsere Tätigkeit insgesamt zwingend fortsetzen sollten.

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Dezember 2016 / Januar 2017
Zum Jahreswechsel hat sich die 1. Vorsitzende Chris Bendig an alle Asylfreunde gewandt, um Bilanz zu ziehen und einen Blick nach vorn zu wagen.

Liebe Vereinsmitglieder, Engagierte, Interessierte und Freunde,
ein arbeits- und ereignisreiches Jahr ging zu Ende, es ist Zeit für einen Rückblick. Enorme Anforderungen galt es während der großen Flüchtlingswelle zu bewältigen. Breit gefächert waren die Aktivitäten, die sich daraus ergaben, und die Themen, in die wir uns einarbeiten mussten, um die dringend nötige Unterstützung leisten zu können: von der anfänglichen Grundversorgung der Flüchtlinge über Verwaltungs- und Verfahrensfragen und den intensiven Deutschunterricht bis zur Wohnungs- und Jobsuche. Jeden Tag tauchten unerwartet neue Fragen, neue Eindrücke, neue Notwendigkeiten und auch Schwierigkeiten auf, mit denen wir uns zu befassen hatten. Dabei staunten wir manchmal fast ebenso wie unsere Neubürger, wie komplex das Leben in unserem Land ist, wenn es für eine Person von Grund auf neu organisiert werden muss - und was es alles zu lernen gibt!



Irgendwie haben wir alles geschafft, was im Rahmen des Möglichen zu schaffen war. Die Ehrenamtlichen sind oft bis an ihre Grenzen gegangen, nicht selten sogar ein Stück darüber hinaus. Ein großes Plus war dabei die gute Zusammenarbeit innerhalb unseres Freundeskreises sowie auch mit der Stadt Hofheim, den Kirchen, dem Landratsamt, dem Roten Kreuz, der Caritas und überhaupt sämtlichen Kontaktstellen, Behörden und Organisationen, mit denen wir fast täglich zu tun hatten. Wir haben allen Grund, den vielen hilfsbereiten Menschen dafür von Herzen Dank zu sagen!

Im neuen Jahr liegt wieder viel Arbeit vor uns, voraussichtlich unter erschwerten Bedingungen. Wir können nur hoffen, dass sich auch in Zukunft die vielfältigen Vorteile des Weges, den der Landkreis Haßberge in der Versorgung der Flüchtlinge eingeschlagen hat, weiter erhalten lassen: dezentrale Unterbringung, direkte Betreuung vor Ort, persönliche Kontakte, flexibles Reagieren auf alles, was anfällt. Menschliche Nähe und Freundschaft, die auf diese Weise ganz von selbst entstehen, sind ein nicht zu unterschätzender Faktor für das Gelingen von Integration.

Ein gutes Zeichen: Unser Verein wächst langsam, aber stetig. Mit derzeit 64 Mitgliedern, zu denen erfreulicherweise bereits vier syrische Aktive gehören, und einem Kreis von Helferinnen und Freunden sind wir für das neue Jahr gut aufgestellt. Unser neues Domizil in der Oberen Sennigstraße, das uns die Stadt Hofheim dankenswerterweise zur Verfügung stellt, bietet Raum für vielerlei Aktionen und Begegnungen.
Unsere Arbeit bleibt trotz aller Routinen, die sich zwangsläufig herausgebildet haben, emotional anrührend. Es wird weiterhin Glücksmomente geben, wenn beispielsweise Familien sich wiedersehen, Prüfungen gut bestanden werden oder ein Kind in einer sicheren Umgebung zur Welt kommen darf.



Gleichzeitig erleben wir, dass die umstrittenen Abschiebungen in ein extrem instabiles Land wie Afghanistan begonnen haben und auch bei uns in Hofheim ein junger Asylbewerber ohne Vorankündigung frühmorgens von der Polizei aus dem Bett geholt und an den Händen gefesselt abgeführt wird, um in ein Flugzeug nach Kabul zu gesetzt zu werden.

Die enorme Bedeutung und gesellschaftliche Relevanz unserer Arbeit der Verständigung und des respektvollen Miteinanders wird vor dem Hintergrund des schrecklichen Terroranschlages in Berlin bei allem Entsetzen besonders deutlich. In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns, und ich kann nur allen meinen großen Dank und meine Hochachtung aussprechen, die an unzähligen Stellen auf unzählige Arten und Weisen ihre Kraft, Energie und Empathie für unsere Arbeit einsetzen - sei es im täglichen Kontakt oder ideell unterstützend aus der Ferne. Der Schwung und die Energie des Freundeskreises Asyl werden sicher auch im neuen Jahr etliche Steine ins Rollen bringen und das Leben in Hofheim und Umgebung weiter bereichern!


Und ich bin überzeugt: neben allen notwendigen praktischen Alltagshilfen ist unsere Zuwendung, menschliche Nähe und Freundschaft das Wertvollste und Wunderbarste, was wir alle uns, unabhängig von Herkunft und Kultur, gegenseitig schenken können.

Wir bleiben mit Freude dabei!

Schöne Feiertage und ein gutes, erfolgreiches und erfülltes neues Jahr wünscht allen Asylfreunden 

Christina Bendig
für den Freundeskreis Asyl Hofheim e.V.
 
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September 2016
Unser diesjähriges Ferienprogramm für die Kinder von Asylsuchenden und ihre deutschen Freunde war ein voller Erfolg. Es endete mit einem gelungenen Grillfest zum Sommerausklang. Chris Bendig knüpft ein paar zeitgemäße Betrachtungen an Bedeutung und Zielsetzung der Aktion.

 

Zum Abschluss des Ferienprogramms
Septembergedanken von Chris Bendig

Das erste Sommerferienprogramm des Freundeskreises Asyl Hofheim endete gestern mit einem großen Sommergrillfest im Vereinsgarten, bei dem sich alle einig waren: Die ganze Aktion, an der sich zahlreiche Helferinnen und Helfer mit großem Engagement beteiligt hatten, war ein voller Erfolg! Für syrische, afghanische und deutsche Kinder gab es viele wunderbare, aufregende, lustige und beglückende Erlebnisse bei rund zehn verschiedenen Unternehmungen - von Lama-Trekking und Fahrradrallye über Ausflüge und Besichtigungen bis zu Musik- und Bastelkursen.



Mit dem Programm der gemeinsamen Aktivitäten verfolgte unser Verein zwei Ziele. Es ging nicht nur darum, den Kindern während der schulfreien Zeit spannende Erlebnisse anzubieten; das Ziel war vor allem auch, durch die gemeinsamen Aktivitäten ganz spielerisch und sommerlich-leicht Kontakte herzustellen. Und tatsächlich zeigte sich: Beim paarweisen Führen eines Lamas, bei sportlichen Wettkämpfen oder Gruppenspielen fand ganz von selbst ein Miteinander statt, bei dem Sprachbarrieren schnell unwichtig wurden.

Stichwort Integration: Wenn wir möchten, dass Menschen jeden Alters, die nach Deutschland geflüchtet sind, Zugang zu unserer Gesellschaft, unseren Denk- und Lebensweisen erhalten, dann ist es an uns, diesen Zugang auch zu ermöglichen und Gemeinschaft zu schaffen, die über Sprachunterricht und Alltagsunterstützung hinausgeht. Die Neugier der Kinder ist erfrischend. Sie zeigen eine bewundernswert unbefangene Offenheit, Toleranz und Solidarität, ohne sich selbst dabei untreu zu werden. So sah man beispielsweise beim Besuch des Tierparks in sommerlicher Gluthitze deutsche, syrische und afghanische Kinder spontan in voller Bekleidung ins Wasserbecken springen und eine herrliche Wasserschlacht veranstalten - ohne jede Burkinidebatte.



Persönliche Beziehungen, Freundschaften, menschliches Miteinander und das Angebot, nicht nur materieller Versorgerstaat, sondern auch liebenswerte Wahl- und Neuheimat zu sein, sind sicher die besten vorbeugenden Maßnahmen, um im Interesse aller zu verhindern, dass Flüchtlinge nach dem traumatischen Verlust der Heimat ins Leere fallen und für radikale Ideen anfällig werden.

Besonderes Augenmerk muss hier den Jugendlichen und jungen Männern gelten, bei denen Orientierungslosigkeit sich schnell in Abgrenzung und Ablehnung des westlichen Lebensstils verwandeln kann. Sie sollten keinesfalls allein den Behörden und sich selbst überlassen bleiben. Gerade für sie brauchen wir dringend männliche Vorbilder, die ihnen zeigen, was es heißt, in Deutschland ein Mann zu sein und die vorhandenen Möglichkeiten zu nutzen. Nur so können Rollenvorstellungen entstehen, die mit unseren europäischen Werten übereinstimmen, ohne dass sie für die jungen Männer fremd und vielleicht bedrohlich wirken.

Die Erfahrung zeigt, dass sich in der Flüchtlingsarbeit vor allem Frauen organisieren. Sie bringen ihre kommunikativen und praktischen Fähigkeiten ein, was großartig ist. Doch genauso wichtig ist es, dass sich künftig auch zunehmend Männer ganz persönlich und direkt engagieren. Sie werden notwendig als Leitfiguren gebraucht, um die Türen zu unserem Leben und unseren Auffassungen zu öffnen, den oft schwierigen Weg von jugendlichen Männern zu begleiten und europäisches Lebensgefühl im besten Sinne zu verkörpern. Über ein Ferienprogramm geht das weit hinaus. Männersache eben.

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Juli 2016

Regine Leisner hat sich Gedanken gemacht über die Auswirkungen "alltäglicher" Terrornachrichten.


Deutsche und Syrer zittern gemeinsam

 
"Hat es schon wieder irgendwo einen Anschlag gegeben?", das gehört derzeit schon fast zur gängigen Begrüßung, wenn wir uns mit unseren Hofheimer Asylfreunden treffen. Man möchte am liebsten die Nachrichten gar nicht mehr anschauen, um den täglichen Schreckensmeldungen zu entgehen.
Syrische Täter, islamistischer Hintergrund - was bedeutet das für Leute, die selbst Syrer und Muslime sind und hier nichts als ein Leben in Sicherheit suchen - oder für uns Deutsche, die wir mit ihnen an einem Strang ziehen?
 
Ein Stoßseufzer ist von den Geflüchteten immer wieder zu hören: "Das sind die Leute, vor denen wir geflohen sind. Wir haben alles zurückgelassen, unsere Heimat aufgegeben, unsere Familien sind auseinandergerissen - und nun holt uns der Wahnsinn hier in Deutschland ein!" - Pure Fassungslosigkeit steht in den Gesichtern. Und Trauer.
Und das Gefühl deutscher Helfer: Was haben wir nicht alles getan, um den Asylbewerbern das Ankommen, die Orientierung und Integration zu erleichtern! Viele von uns sind immer wieder bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gegangen. Und nun müssen wir erleben, dass unsere gemeinsamen Anstrengungen durch Gewalt und Terror in Frage gestellt werden.
 
Gibt es einen Trost? Nein, es gibt keinen.
Nur eine Gewissheit: Wir leben in spannenden Zeiten. Jeder Mensch muss selbst entscheiden, welche Werte für sein Leben bestimmend sein sollen. Es gibt eine große Bandbreite und viele verschiedene Gruppierungen. Aber die Trennlinien zwischen ihnen verlaufen nicht vertikal: hier die Deutschen, da die Syrer, dort die Afghanen; hier die Christen, da die Muslime, dort die Nichtreligiösen.
 
Die entscheidende Linie verläuft vielmehr waagrecht durch die Gesellschaft: hier die hasserfüllten Eiferer, die Gewalttäter, die Verbreiter von Vorurteilen, seien sie Deutsche oder Syrer oder kleine grüne Marsmännchen. Und da die Menschen guten Willens, die sich um Einsicht und Verständigung, um ein konstruktives Miteinander bemühen. Gibt es einen Grundkonsens der Werte, dann ist Zusammenarbeit möglich, unabhängig von Haut- und Haarfarbe. Den Nutzen davon haben dann alle "Inländer".

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